Ist Agilität und Führung ein Widerspruch?

Braucht Agilität überhaupt noch Führung? Oder ist „Führung und Agilität" nicht ein Widerspruch in sich? Diese Kernfragen begegnen uns oft. Die Antworten darauf liefert Autorin Antje Freyth in diesem Beitrag.

Das agile Kernelement der „Selbstorganisation" impliziert für viele Menschen die Abschaffung von Führung. Aufgrund der Unterschiedlichkeit und Widersprüchlichkeit der Antworten, die man hierzu in der Literatur und Praxis findet, treffen wir häufig auch auf Verwirrung und angesichts der empfundenen Bedrohung für die eigene Führungsposition auch auf Widerstände. Kein Wunder, denn typische Antworten lauten beispielsweise: „ Es gibt keinen Vorgesetzen mehr, der einem sagt, was man wie tun soll", „Verantwortlichkeiten werden von der Führungskraft weg hin zu den Mitarbeitern verlagert", „Eine agile Organisation braucht Führung ebenso wie traditionelle Organisationen".

Veränderungsintelligenz und Agilität

Entscheidend zur Einschätzung der unterschiedlichen Antworten ist, aus welcher Perspektive sie gegeben werden. Die Auflösung der scheinbaren Widersprüche ist in der Betrachtung des unterschiedlichen Agilitätskontexts zu finden. Denn es gilt:
Verschiedene Ausprägungen von Agilität bedingen ein unterschiedliches Rollenverständnis von Führung.
Im Konzept der Veränderungsintelligenz differenzieren wir dazu folgende drei Ausprägungen von Agilität:

Ganzheitliche Agilität

Hierunter fassen wir Agilitätskonzepte, die konsequent eine ganzheitlich agile Organisation anstreben. Ein Beispiel dafür sind holokratische Organisationen, in denen Agilität am radikalsten gelebt wird, da die Dezentralisierung, Selbstorganisation und Abschaffung der Hierarchie das ganze Unternehmen umfasst. Im Kontext der ganzheitlichen Agilität ändert sich das Führungsverständnis am grundlegendsten. Hier werden klassische hierarchische Positionen zugunsten konsequenter Dezentralisierung und Selbstorganisation abgeschafft. Führungsaufgaben können sich auf mehrere Rollen verteilen und diese Führungsrollen sind dann dynamisch besetzt, d.h. ein Mensch füllt eine ggf. nur Führungsrolle temporär aus.

Projekt-Agilität

In agilen Projekten (beispielsweise in der agilen Software-Entwicklung) wird Agilität auch konsequent nur im Rahmen eines definierten, agilen Vorgehensmodells gelebt (z.B. Srum). Im Unterschied zur ganzheitlichen Agilität findet dieses agile Framework aber nur auf der Ebene der Selbstorganisation einzelner Projektteams Anwendung. Im Kontext der Projektagilität gelten innerhalb des selbstorganisierten Teams die gleichen Ausführungen, wie zur ganzheitlichen Agilität. Ein wesentlicher Unterschied ist hier jedoch die Einbettung in eine umgebende Organisation mit unverändert klassischen Führungskräften in der Linie. In diesem Fall entsteht ein unternehmensinternes Agilitätsgefälle zwischen der hohen Selbstorganisation im agilen Projekt und den klassischen Führungsmechanismen in den „traditionell" organisierten Einheiten.

Alltagsagilität

Hier geht es darum, dass das Arbeiten in den nach wie vor vorhandenen traditionellen Strukturen des Arbeitsalltags agiler wird, dass eine Organisation agiler wird, ohne gleich zu einer holokratischen Organisation zu werden. Im Mittelpunkt steht es, agile Gestaltungselemente zu adaptieren, die im Alltag hilfreich sind, um sich in der VUKA Welt erfolgreich zu bewegen. So kann es beispielsweise agilitätsförderlich sein, bestimmte Reflexionsroutinen aus Scrum zu übernehmen, ohne Scrum gleich vollumfänglich einzuführen. Oder die Unternehmenskultur in Richtung einer agilen, innovationsfördernden Kultur weiterzuentwickeln, ohne gleich alle Hierarchien im Unternehmen aufzulösen. Oder als Führungskraft in der klassischen Linie den Mitarbeitern mehr Eigenverantwortung zu übertragen ohne gleich vollständige Selbstorganisation einzuführen. Dementsprechend gibt es hier nach wie vor Führungspositionen in der Linienorganisation – allerdings mit einem veränderten Führungsverständnis und erweitertem Führung-Know-how.

Wann welche Intensität von Agilität?

Während sich ganzheitliche Agilitätsformen vor allem im Bereich der jungen Wachstumsunternehmen und digitalen Geschäftskonzepte finden, beschäftigen sich etablierte Unternehmen aktuell zumeist mit der Projektagilität und Alltagsagilität und stehen vor der Herausforderung, agile Elemente intelligent in das bestehende System zu integrieren und das bestehende System kontinuierlich weiter zu entwickeln. Und hierzu bedarf es agilerer Führung.

Ausprägungen von Agilität
©Veränderungsintelligenz GmbH

Vertiefende Informationen finden Sie dazu in unserem aktuellen Buch:

G.H. Baltes, A. Freyth (Hrsg.), Veränderungsintelligenz -
Agiler, innovativer, unternehmerischer den Wandel unserer Zeit meistern
Springer Gabler Verlag 2017 ISBN-13: 978-3658048884

Schlagworte zu diesem Artikel:
Agilität, Führung, Widerspruch, Selbstorganisation, Veränderungsintelligenz, Perspektive, Agilitätskontext, Agilitätsausprägung, Rollenverständnis, ganzheitliche Agilität, Projekt-Agilität, Alltagsagilität, Scrum, Agilitätsgefälle, Holokratie, agile Kultur, Reflexionsroutinen,

10.02.2017


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